Sprechen die Bäume, so schweigen die Seelen
Zur Schmuckarbeit von Nicola Scholz

Sool Park

Es ist fast nicht mehr von dieser Welt; einen menschlichen Anschein hat es noch, denn das dünn geflochtene Seil zeugt klar von Handarbeit. Aber wenn man es in Händen hält, vielleicht sogar sich um den Hals legt, gewinnt es keineswegs mehr an Dinghaftigkeit, sondern entzieht sich nur mehr der Realität. Es ist, als wäre aus unserer Sorge Atem geworden, aus Atem Staub, aus Staub Seide, aus der man endlich ein solches Geflecht hat weben können. Nur über eine solche Kette poetischer Assoziationen scheint das Schmuckstück mit dem Menschenleben verbunden zu sein. Das Ding spricht für uns eine leise Fremdsprache (was für eine Stimme hat die Spinne, hat man jemals auf sie gehört?), die uns seltsam zu Leibe geht.

Die Schmuckarbeit von Nicola Scholz ist eine tiefe, introvertierte Auseinandersetzung mit denjenigen feinen Zwischenwelten, von denen wir umgeben sind: den nahezu unsichtbaren Hohlräumen zwischen Furcht und Geborgenheit, Trauer und Heiterkeit. Wie die Kunst eine einzigartige Apparatur ist, dem schwer Fassbaren doch auf die Spur zu kommen, indem sie die Suche manchmal unterlässt, so muss die Suche der Künstlerin hier auch in einem ahnenden Tasten geschehen; in ständiger Berührung mit Materie, Emotion und Form lernt sie seine Kontur kennen, mit großer Zuversicht. So lässt sie das Material selbst zur Sprache kommen, sodass es seine Geheimnisse erzählt: Einmal ist es die bedrohliche Giftsprache der Pflanzen, ein vollmundiges Vokabular schüchterner Schönheit; einmal die stumme Sprache der Gedärme, ihre unschuldige Blütenfülle.

Eine solche Sprache der Dinge kommt, anders als die unsrige, notwendig von beiden Enden her. Denn es war nur unser Vorurteil, das die Dinge in gut und schlecht eingeteilt hatte. Hier ist sie aber hörbar, die Harmonie der Gegensätze: Die Harzperlen sprechen, weil sie Tränen sind, von Frische und immergrüner Jugend des Waldes; und die Rosenstacheln singen vom Stolz schöner Geschöpfe, denn sie sind Wundmale der Natur. Diese dinggewordenen Worte (oder wortgewordenen Dinge) umgeben uns, wenn wir uns in diese Schmuckstücke hinein- und wieder hinausdenken. Und es ist Erleichterung, die Worte so versöhnt zu sehen.

Ein Unversöhnliches dagegen sehen wir in der vielbeinigen Gestalt, die den Betrachter sofort überwältigt; dabei wird in uns etwas Uraltes wachgerufen, das zwischen Begeisterung und Entsetzen noch nicht zu unterscheiden weiß. Diese Kraft – ist sie ein „Instinkt“? – will das mächtige Gott-Tier als Amulett am Leib tragen, dort, wo uns der Kopf beginnt und das Herz schlägt. Für den Denkenden ist dieses körperliche Verlangen eine Befreiung – und für den Fühlenden eine Einsicht. Man merkt: Schmuck ist wie ein Gedanke, den man lange bei sich trägt, bis er ganz ein Gefühl geworden ist.

2020